Kiepenheuer trauert um George Tabori

„Ich bin ja wie das Theater - immer im hier und jetzt". Der dreiundneunzigjährige George Tabori ist wahrhaftig bis zu seinem letzten Lebensaugenblick im hier und jetzt geblieben. Gestern, am 23. Juli 2007, ist George Tabori in seiner Wohnung nahe dem Berliner Ensemble gestorben.

Die letzten Monate seines Lebens war das Bett in seiner Wohnung am Schiffbauerdamm seine Bühne - eine Bühne voller Pläne, voller Neugier, voller Komik und Heiterkeit. George Tabori - ein Dichter, ein Regisseur, ein Schauspieler, ein genialer Lebenskünstler, ein einzigartiger Mensch - hat seinen Kreis vollendet.

Sein Leben umfasst ein ganzes Jahrhundert und viele Epochen. Es ist wie ein grandios gelebter Roman. Am 24. Mai 1914 in Budapest geboren. Sein Vater, der Journalist Cornelius Tabori, wurde im KZ Auschwitz ermordet, seine Mutter Else überlebte durch einen wundersamen Zufall, darüber schrieb George Tabori seine klassische, dramatisierte und verfilmte Erzählung „Mutters Courage".

George Tabori geht 1932 als Hotellehrling nach Berlin, kehrt 1934 nach Budapest zurück, arbeitet als Übersetzer und Journalist, emigriert 1935 mit seinem Bruder Paul nach London, geht 1939 als Auslandskorrespondent nach Sofia und Istanbul, ist als Nachrichtenoffizier der Britischen Armee in Jerusalem und Kairo stationiert, arbeitet von 1943-1947 als Journalist bei der BBC. Seit 1947 ist George Tabori britischer Staatsbürger, er wird als Drehbuchautor nach Hollywood verpflichtet und lebt 25 Jahre in den USA, er schreibt für Alfred Hitchcock und Joseph Losey, er lernt Thomas Mann und Bertolt Brecht kennen.

Tabori, der zunächst eine Reihe von Romanen geschrieben hat, die in New York und London erscheinen, wendet sich durch seine Begegnung mit Brecht entschieden dem Theater zu. Tabori übersetzt Brecht, sein erstes Theaterstück FLIGHT INTO EGYPT inszeniert Elia Kazan 1951 in New York. Tabori arbeitetet an Lee Strasbergs „Actor's Studio", gründet mit seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Viveca Lindfors, die Theatergruppe „The Strolling Players".

Vermittelt von Maria Sommer, der Verlegerin des Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs, kommt George Tabori 1969 auf Einladung des Schillertheaters nach Berlin und inszeniert dort an der Werkstatt die deutschsprachige Erstaufführung seines Stückes DIE KANNIBALEN, ein Theaterstück über die Geschichte seines Vaters im KZ, Stück und Aufführung werden zum viel beachteten Ereignis. Zum Ereignis auch von entscheidender Wirkung auf Taboris weiteres Leben, denn er bricht seine Theaterarbeit in New York ab und inszeniert künftig nur noch im deutschsprachigen Theaterraum, in Berlin, Tübingen, Bonn, er gründet am Bremer Theater mit einer Gruppe von Schauspielern sein „Theaterlabor", er inszeniert in München, Köln und Bochum, wo 1981 die Zusammenarbeit mit Claus Peymann beginnt. Sein Stück JUBILÄUM erhält 1983 den Mülheimer Dramatikerpreis. Taboris improvisatorische Arbeitsweise fasziniert die Schauspieler, seine unorthodoxe phantasievolle Befragung alter und neuer Texte, seine ganz persönliche Methode, seine Stücke auf der Probe durch das Zusammenspiel mit den Schauspielern zu entwickeln und zu schreiben, macht Tabori zu einem in unserer Theaterwelt unvergleichlichen Theatermacher. Schauspieler inspirieren ihn, er schreibt Stücke und Rollen für Michael Degen, Eleonore Zetzsche, Ignaz Kirchner, Gert Voss und immer wieder für Ursula Höpfner, mit der er seit 1985 verheiratet ist. Der Regisseur Tabori wiederum inspiriert die Schauspieler. Durch seine Kunst des lustvoll fragenden Probierens bringt er die Schauspieler zu sich selbst. Seine Berliner Inszenierung von Lessings Lustspiel DIE JUDEN war gleichermaßen eine Sensation durch die Entdeckung eines bisher verkannten Stücks wie durch das befreiende Spiel der Schauspieler.

1987 geht George Tabori nach Wien ans Burgtheater, dessen Ehrenmitglied er seit 1997 ist, dort entstehen Stücke wie MEIN KAMPF, GOLDBERG VARIATIONEN, WEISMAN UND ROTGESICHT, dort inszeniert er OTHELLO und Becketts ENDSPIEL. In Wien erfüllt er sich auch seinen lebenslangen Traum, mit einer Schauspielergruppe ein eigenes kleines Theater zu gründen. Vier Jahre leitet Tabori das Schauspielhaus in der Porzellangasse und gibt ihm den bezeichnenden Namen „Der Kreis“.

Fast vierzig Stücke hat George Tabori geschrieben, vier Stücke hat er am Berliner Ensemble uraufgeführt, seine nun letzte Premiere war das szenische Gedicht GESEGNETE MAHLZEIT, ein insgeheimer Schwanengesang. Und dennoch gab es nächste Pläne: ein Stück über Jesus und endlich seine Inszenierung von Shakespeares LEAR.

Mit Preisen und Ehrungen für sein Lebenswerk ist George Tabori überhäuft worden, er erhält 1981 den Großen Kunstpreis Berlin, 1988 als erster den Theaterpreis Berlin der Preußischen Seehandlung und 2006 den Deutschen Theaterpreis "Der Faust". Der Peter-Weiss-Preis 1990 und der Büchner-Preis 1992 aber stehen für die Einzigartigkeit einer schriftstellerischen Arbeit, deren Poesie identisch ist mit einem tiefen Wissen um die menschlichen Schwächen und Widersprüche. Mit scheinbar traumwandlerischer Leichtigkeit ist George Tabori durch alle Zeiten gegangen. Für die Schrecken des 20. Jahrhunderts ist er ein authentischer Zeuge, diese Schrecken hat er aber mit melancholischem Humor und sanfter Geste dargestellt. George Taboris autobiographische Erinnerungen „Autodafé" bezeugen - wie im Grunde alle seine Theaterstücke -, dass er den Schmerz immer wieder in ein befreiendes Spiel zu verwandeln vermag. George Tabori vertraute den Menschen, er verallgemeinerte nie, eine Ohrfeige seines Vaters heilte ihn, wie er nicht müde wurde zu erzählen, von Vorurteilen für sein ganzes Leben. Seine Zuneigung zu Menschen und seine Neugier auf Menschen glich einer immerwährenden Umarmung. Wer als Mitarbeiter, Zuschauer oder Leser an diesem Glück teilhaben konnte, der wird dies nie vergessen können. George Taboris Werk und Weisheit gehören im wahrsten Sinne des Wortes zum Weltkulturerbe.

13.08.2007 |


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